Heft 95 - Die Fünf

Aus "Astrologie Heute", Heft 95

Die Fünf

Gleich der Zahl Fünf ist auch der Fünfstern Symbol des Menschen, der fünf Finger, fünf Zehen und fünf Sinne hat und - wie aus den Darstellungen von Leonardo da Vinci und Baldassare Peruzzi bekannt - gleich einem Fünfstern in der Welt steht. Die vier Gliedmaßen entsprechen den vier Elementen, während der Kopf die quinta essentia symbolisiert, jenes geheimnisvolle, unsichtbare fünfte Element, das nur dem Menschen zugänglich ist.

Nach antiker Lehre besteht alles, was erschaffen ist, aus den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser. Das unsichtbare, darüber hinausgehende Element symbolisiert das Wesentliche, die Bedeutung, den Sinn, der in der Schöpfung verborgen ist, und den nur der Mensch zu erkennen vermag. Aristoteles nannte es Äther und die Alchemisten prägten dafür den Begriff Quintessenz.

Dieser geheimnisvolle Punkt, diese "höhere" Warte wird von der Spitze der Pyramide symbolisiert, die die vier Eckpunkte, gleich den vier Elementen, auf einer höheren Ebene miteinander verknüpft:

Das Gleiche finden wir im Sakralbau, wo in der sogenannten Vierung vor dem Altarraum vier Ecksäulen stehen, die oftmals Figuren, Bilder und Zeichen der vier Evangelisten und ihrer Symbole tragen. Sie repräsentieren die irdische Wirklichkeit auch in Form der vier Elemente, die sich in der Mitte der Kuppel am Punkt der Quintessenz treffen. Dort befindet sich ein Zeichen des Höchsten, wie zum Beispiel eine Taube für den Heiligen Geist, ein Lamm als Christussymbol oder eine schlichte Öffnung, durch die das Licht als Symbol des unsichtbaren Gottes dringt.

 


Die gleiche Symbolik findet sich in vielen Fresken, Kirchenfenstern, Altarbildern und anderen Darstellungen, die Christus im Zentrum zeigen, umgeben von den vier Evangelisten, sowie in zahllosen tibetischen Mandalas, deren Mitte ein Vollkommenheitssymbol ist, in dem sich vier Prinzipien vereinen.

Der Fünfstern symbolisiert aber auch, dass der Mensch mit beiden Füssen auf der Erde steht, während sein Kopf in den Himmel ragt und er als einziges Geschöpf Geist (Himmel) und Natur (Erde) in sich verbindet. Im Inneren des Fünfsterns befindet sich ein Fünfeck, in das sich wiederum ein Fünfstern einpasst, der ein Fünfeck in sich trägt.
Dieses Modell lässt sich immer weiter verkleinern oder vergrößern, ohne dabei seine Struktur zu verändern und veranschaulicht damit das hermetische Gesetz: Makrokosmos = Mikrokosmos. Wer sich in seiner Vorstellung in diese Figur begibt und sich mit einem Fünfstern identifiziert, kann an Hand dieses Modells über sich hinausfühlen und sich im mikroskopisch kleinsten Wesenskern erleben oder im makroskopisch Größten, etwa in der Sternenkonfiguration des Geburtshoroskops am Himmel, wieder erkennen. Dabei wird der Fünfstern zum Symbol des sinnvoll in das kosmisch Ganze eingegliederten Menschen.

Aus der Sonderrolle, die wir Menschen in der Schöpfung einnehmen, leiten sich aber auch andere Eigenarten ab, die nur für uns Menschen typisch sind. Als einziges Wesen kann der Mensch gegen seine Natur handeln, damit gibt es nur für uns eine Entscheidungsfreiheit. Nur für uns gibt es Kriterien wie gut und böse, Tugend und Sünde, edel und profan, nur wir können für unser Tun Verantwortung übernehmen. Diese Polarität kommt in der Fünf dadurch zum Ausdruck, dass sie in der christlichen Zahlensymbolik auch mit der sündhaften Natur gleichgesetzt wurde, weil sie für die fünf Sinne steht, mit denen wir sündigen. Weitaus bekannter aber ist der kopfgestellte Fünfstern, dessen Spitze nach unten zeigt, als Zeichen des Bösen. Diese Symbolik ist jedoch nicht ganz unproblematisch sondern von patriarchalen Werten geprägt. Sie konstatiert schlicht und einfach:
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Dass das Pentagramm in der Welt der Magie ein bedeutende Rolle spielt, hat vielleicht zu dieser schwarz-weiß-Deutung beigetragen. Einerseits wird es dort als Schutzsymbol gesehen, in dessen Inneren der Magier bei Beschwörungen von keiner feindlichen Kraft angegriffen werden kann. Anderseits gilt der kopfgestellte Fünfstern, der sogenannte Drudenfuß, traditionell als Zeichen schwarzer Magie.

Es gibt aber auch eine sympathischere Erklärung dieser ambivalenten Bedeutung. Die nach oben gerichtete Spitze des Pentagramms zeigt, dass der Mensch nach Einheit strebt, um seine Zerrissenheit zu überwinden. Dagegen zeigt der kopfgestellte Fünfstern zwei Spitzen, die für den Verlust der Einheit, für Spaltung und Widersprüche stehen. Aus diesem Grund galt vor allem im Mittelalter das Einhorn als Christussymbol während der Diabolos, der die Einheit zerstört (griech. diaballein), bekanntlich mit zwei Hörnern dargestellt wird, die man in den beiden nach ob weisenden Spitzen des kopfgestellten Fünfsterns wiedererkennen kann.

Die Idee der Sinnsuche und Sinnfindung, die mit der Fünf verknüpft ist, kommt auch in dem Bild des Mystikers William Blake zum Ausdruck, das zeigt, wie Adam den Tieren einen Namen gibt. Den Hintergrund bildet die biblische Erzählung (1. Moses 2,19) derzufolge Gott Adam beauftragte, die Geschöpfe zu benennen. Wenn man bedenkt, dass durch den Namen ursprünglich das Wesentliche ausgedrückt wurde, und dass das hebräische Wort Adam übersetzt "Mensch" bedeutet, dann erzählt die Bibel hier vom Auftrag Gottes an den Menschen das Wesen und den Sinn der Schöpfung und der Geschöpfe zu erkennen und zu benennen. Wohl deshalb verknüpft Blake diesen Augenblick mit einer Handgestik Adams, die nur bei vordergründiger Deutung als Zwei gelesen wird. In angelsächsischen Ländern wird die Zwei mit Zeige- und Mittelfinger gezeigt, während die Hand Adams in einer alten Fingersprache die Fünf als römische Ziffer V zeigt.

Im Tarot wird die Fünf vom Hohenpriester verkörpert, dem Repräsentanten der Religion. Dieses Wort geht auf das lateinische religare zurück, das rückbinden bedeutet und als Rückbindung und Wiedereingliederung in den verlorenen Sinn verstanden werden kann. Die Botschaft, wo oder wie dieser Sinn zu finden ist, lässt sich der segnenden Hand des Hohenpriesters entnehmen, deren aufgestellte Finger für das Offenkundige stehen, während die abgewinkelten Finger das Verborgene darstellen. Nur wer seine Aufmerksamkeit gleichermaßen auf beides richtet, kann das Wesentliche finden. Demgegenüber zeigt der Teufel, der am Kopf den Drudenfuß trägt, mit den fünf ausgestreckten Fingern seiner Hand, dass es nichts Verborgenes gibt, dass jede Suche nach dem Sinn wahrhaft sinnlos ist.

Die Fünf ist aber auch in anderer Hinsicht eine ambivalente Zahl. Da der Sinn unsichtbar ist und sich nicht beweisen lässt, kann man ihn auch leichterhand leugnen. Es scheint ja auch ohne Religion zu gehen, da ein Acker auch dann Früchte hervorbringt, wenn kein Gebet gesprochen und kein Fruchtbarkeitsritual zelebriert wurde. Deshalb erscheint manchem die Thematik der Fünf als überflüssig, quasi als fünftes Rad am Wagen.

Auch in der Astrologie spielt diese Zahl nur eine bescheidene Rolle. In der Aspektelehre kennt man das Quintil, das sich mit 72° aus der Fünfteilung des Kreises ergibt, aber nur von wenigen beachtet wird. Etwas mehr Aufmerksamkeit schenkt man dagegen dem Quincunx, ein Wort, das sich aus dem lateinischen quinque und uncia zusammensetzt und fünf Zwölftel bedeutet. Dieser 150° Aspekt, der Planeten miteinander verbindet, die fünf Zeichen voneinander entfernt sind, wird zumeist als Hinweis auf verborgene Potenziale gedeutet. Vor allem in der Yodfigur, einem Aspektbild, das sich aus zwei Quincunxen und einem Sextil ergibt, sehen viele einen "Fingerzeig Gottes". Dennoch geht es wohl nicht darum, nun in einem bislang eher vernachlässigten Teil der Astrologie, den geheimen Sinn zu suchen. Er wird sich hier wie auch bei einem Mandala in der Mitte finden, bei einer tiefen, ganzheitlichen Betrachtung des gesamten Horoskopbildes.

Dass der Sinn erspürt werden kann, auch wenn er weder beweisbar noch fassbar ist, zeigt das folgende Phänomen:

Die Geometrie kennt seit alter Zeit fünf platonische Körper, die als vollkommen harmonisch gelten, weil sie sich aus gleichseitigen Flächen zusammensetzen. Sie symbolisieren die fünf Elemente und ergeben sich aus den drei bedeutsamsten Zahlen, der göttlichen Drei, der irdischen Vier und der Fünf als Zahl des Menschen:

 

 

 

 

 

 

Auf seiner Suche nach der unserer Welt zu Grunde liegenden Harmonie hat Johannes Kepler mit diesen Körpern experimentiert. Dabei schuf er ein Modell, in dem er die Figuren ineinander stellte, wobei jede von der kleinstmöglichen Kugel umgeben war und von der größtmöglichen ausgefüllt wurde:

Damit ergeben sich in und um die fünf Körper insgesamt sechs Kugeln. Betrachtet man nun das Abstandsverhältnis der Kugeln zueinander, so entspricht dies dem Abstand der Umlaufbahnen der Planeten Merkur bis Saturn, und zwar der Planeten im astronomischen Verständnis, also ohne Sonne und Mond aber einschließlich der Erde.
Beweisen tut das nichts. Natürlich kann man auch hier von einem vielleicht interessanten aber belanglosen Zufall sprechen. Bedenkt man jedoch, dass sich diese geometrischen Körper aus den in ihrer Symbolik bedeutsamen Zahlen Gott (3), Erde (4) und Mensch (5) zusammensetzen, dass sie seit der Antike als vollkommen harmonisch gelten und - richtig ineinander gestellt - ein Spiegelbild unseres sichtbaren Planetensystems sind, dann vermag das durchaus ein Sinngefühl zu erzeugen. Ein Gefühl für die spürbare wenn auch unsichtbare quinta essentia, für den in der Schöpfung verborgenen Sinn.

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