Heft 92 - Die Zwei
Aus "Astrologie Heute", Heft 92
Die Zwei
Die Zwei symbolisiert das Andere, die wünschenswerte Alternative, den anziehenden Gegenpol, die Entscheidungsfreiheit, aber auch Ambivalenz, Zweifel, Zwielicht, Zwiespalt und Zerrissenheit wenn nicht gar das Dilemma, in dem wir uns verfangen. Sie entsteht zeitgleich mit der Eins, weil beide einander bedingen. Die Eins allein kann nicht existieren. Sobald sie auftaucht bringt sie die Zwei als Symbol für das Andere mit sich. Der Punkt bewirkt, dass es den Nicht-Punkt gibt. Licht bringt den Schatten mit sich, das Sein das Nichtsein.
Ursprünglich und wertfrei betrachtet repräsentiert sie den Gegenpol, die Resonanz und das Echo. Als solche ist sie im Tarot in der Hohepriesterin verkörpert, die in der Mitte zwischen der schwarzen und der weißen Säule sitzt, und dadurch ausdrückt, dass ihr beide Pole gleichviel wert sind. Damit symbolisiert sie ein ursprüngliches Ganzheitsbewusstsein, das erst durch das Streben nach Eindeutigkeit aufgebrochen wurde. So wie niemand auf den Gedanken käme, den negativen Pol eines Magneten oder der Steckdose gegenüber dem positiven Pol als minderwertig zu betrachten, so lebte auch der Mensch der Frühzeit in dem Bewusstsein, dass jedes Ding zwei Seiten hat, die einander bedingen und es unsinnig ist, die eine zu begehren und die andere zu fürchten. Erst vor etwa 5000 Jahren, mit Aufkommen des Patriarchats, begann das männliche Ringen um Eindeutigkeit, das die alten Dualitäten aufspaltete und zu scheinbar unvereinbaren Gegensätzen werden ließ, wie Tag und Nacht, links und rechts, gut und böse, Leben und Tod, Mann und Frau. In dieser wertenden Unterscheidung übernimmt die Zahl Eins den lichten Pol und steht für Klarheit und Eindeutigkeit, während die Zwei mehr und mehr zur dubiosen Zahl verkommt, zur abgewerteten Trägerin der dunklen Seite, zum Inbegriff von Zwielicht, Zwist und Zweideutigkeit. Schon im Schöpfungsbericht ist der zweite Tag, an dem der Himmel entstand, anscheinend problematisch. Denn während es in der Bibel von allen anderen Schöpfungstagen am Ende stets heißt "Und Gott sah, dass es gut war", fehlt dieser Gutbefund am zweiten Tag. Wann immer darüber spekuliert wurde, wie denn das Böse in die Welt kommen konnte, wenn Gott allein doch alles erschaffen hat, tauchte häufig die Vermutung auf, dass vielleicht an diesem zweiten Tag etwas schief gelaufen sei.
Schöpfungsmythen erzählen typischerweise von Teilungen, die am Anfang stehen, wobei oft ein uranfängliches Ungeheuer geteilt oder getötet werden muss, damit die Vielheit der Welt daraus hervorgeht. Gleichermaßen entsteht aus dem uranfänglich Einen, das vom Kreis oder der Null symbolisiert wird, durch den Schöpfungsimpuls (Eins) die Polarität (Zwei), in der wir leben.
Psychologisch betrachtet steht der Kreis für das Unbewusste, in dem das ganze unentfaltete Potenzial noch "einfältig" beieinander schlummert. Löst nun ein Impuls (Eins) die Bewusstwerdung aus, tritt etwas, das zuvor unbewusst war, ins Bewusstsein und entfaltet sich dort in seiner Polarität (Zwei). Andernfalls wäre es nicht denkbar. Denn was immer wir bewusst erkennen, hat einen Gegenpol. Kein Mensch käme auf den Gedanken, etwas als schön zu beschreiben, gäbe es das Hässliche nicht. Ohne Krieg hätten wir keine Vorstellung vom Frieden, ohne den Tod wüssten wir nicht, dass wir leben.
So sind wir entweder im Zustand vorbewusster, uranfänglicher, undifferenzierter Einheit, oder aber dieses Paradies ist ent-zwei, weil wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und die polare Welt erkennen, in der wir uns gewiss schon zuvor befanden, allerdings ohne es zu wissen. Mit der Bewusstwerdung des Lebens ist aber auch immer die Erkenntnis des unausweichlichen Endes verbunden, weshalb der Tod oft genug als Folge und Strafe für den Genuss der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis gewertet wurde. In der Malerei finden wir deshalb oft das Paradies als Kreis, während Mann und Frau als Verkörperung der Zweiheit daraus in die Welt der Polarität vertrieben werden.
BILD - Giovanni di Paolo - Die Vertreibung aus dem Paradies
Das Symbol der Zwei ist die Linie, die zwei Punkte miteinander verbindet. Man kann sie als Verbindung zwischen zwei Polen sehen oder als die Distanz, die zwei Gegensätze voneinander trennt. In der Astrologie finden wir diese Thematik in vieler Hinsicht, vor allem
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in der Opposition sowie in den Achsen, die die gegenüberliegenden Zeichen und Häuser verbinden. Richtig verstanden geht es dabei nicht um einen Gegensatz sondern um eine gemeinsame Idee, die in zwei verschiedenen Formen zum Ausdruck kommt (z.B. die Besitzachse: Stier = materieller Besitz und Skorpion = seelischer Besitz).
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in der Grobunterteilung linke Seite : rechte Seite, obere Hälfte : unterer Hälfte;
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im Kontrast der nebeneinander liegenden Zeichen (z.B. WAS : FIS Philosoph : Mystiker, FIS: WID = Samariter : Krieger, WID : STI Angreifer : Verteidiger)