Heft 91 - Die Eins

 

Aus "Astrologie Heute", Heft 91

Die Eins

In der Zahlenmystik scheint es manchmal eine Überschneidung zwischen der Symbolik der Null und der Eins zu geben, da beide mit Einheit gleichgesetzt werden. Dabei liegt der Unterschied in der unzählbaren Einheit (Null) und dem zählbaren Einen, dem Einssein (Eins). Die Null kann wie das Wort "alle" zugleich die Fülle (alles) oder die Leere (alle = leer) symbolisieren und damit sowohl für die uranfängliche Einheit wie für die allumfassende Ganzheit jenseits der Welt aller Polaritäten und Gegensätze stehen. Dagegen ist die Eins unteilbarer Bestandteil und Baustein jeder anderen Zahl. Sie ist eins mit allen anderen Zahlen, weil sie in jeder enthalten ist.

Symbolisiert wird die Eins durch den Punkt. Und wie sich jede Linie aus Punkten zusammensetzt, so besteht jede Zahl aus "Einsen". Bringen wir den Kreis und den Punkt zusammen, ergibt sich folgendes Bild: der leere Kreis steht für das undifferenzierte Ganze, und symbolisiert zugleich Alles und Nichts. Durch den Punkt im Kreis aber differenziert sich dieses All-Eine. Etwas Manifestes entsteht in Form des Punkts, zugleich aber auch das andere, eben all das, was nicht Punkt ist.
Damit haben wir hier ein Sinnbild des Schöpfungsaugenblicks, ebenso wie ein Symbol des erwachenden Bewusstseins.

Wenn uns der ägyptische Mythos berichtet, wie sich im Anfang der Schöpfergott Atum als Urhügel aus den dunklen und trägen Urwassern erhob, dann kommt das in Kreis und Punkt ebenso anschaulich zum Ausdruck wie der Augenblick, in dem das Ich aus dem Dunkel des Unbewussten auftaucht. Das Ich ist als Zentrum der bewussten Persönlichkeit, das in jedem von uns in den frühen Lebensjahren erstmals erwacht, ebenso wie es einst in der Frühgeschichte der Menschheit irgend wann einmal zum ersten Mal auftauchte und damit bewusste Erkenntnis ermöglichte. Dieses Wunder der Bewusstwerdung wiederholen wir im Kleinen allmorgendlich beim Erwachen aus dem Schlaf.

Mit diesem Bewusstwerdungsschritt aber verlassen wir die Alleinheit und betreten die polare Welt. Genauer gesagt lässt uns unser Bewusstsein die Welt so wahrnehmen. Sobald das Ich seiner selbst bewusst wird, erkennt es auch das Nicht-Ich, also all das andere, was es eben nicht ist. Im Augenblick, in dem ein Licht angeht, entsteht der Schatten. Sobald uns bewusst wird, dass wir leben, erfahren wir, dass wir sterblich sind. Wir können nichts erkennen und uns nichts vorstellen, solange wir uns dazu keinen Gegenpol denken können. Wir würden den Tag nicht wahrnehmen, gäbe es die Nacht nicht, und niemand würde etwas als männlich beschreiben, gäbe es das Weibliche nicht. Diese Dualität taucht mit der Eins oder dem Punkt auf, denn von diesem Augenblick an haben wir das Eine und das Andere, den Punkt und den Nicht-Punkt. In seinem Schöpfungsbild zeigt der britische Mystiker William Blake diese Folge. Der Schöpfer sitzt im Kreis, den er mit seinem Arm - einem Symbol der Eins - durchbricht während der Zirkel die Zwei repräsentiert.

In der Zahlensymbolik wird die Eins als Schöpferimpuls gesehen. Sie gilt als Yang- Zahl, die die männliche Energie als Impuls, Initiative, Aktivität und Bewusstseinskraft symbolisiert. Auch die Eigenart, dass sie unteilbarer Bestandteil aller anderen Zahlen ist, sie sozusagen als Schöpferimpuls der ganzen Schöpfung innewohnt, ist eine schöne Ausdrucksform dieser Entsprechung. Darüber hinaus ist die Eins Symbol des aufrecht stehenden Menschen. Und auch dieser Augenblick, in dem der Mensch sich erstmals aufrichtete und den Himmel über sich erkannte, symbolisiert in der Entwicklungsgeschichte den Moment seiner Bewusstwerdung.

In der Astrologie finden wir diese Symbolik einerseits im Zeichen der Sonne , die das Ich, das Zentrum der bewussten Persönlichkeit verkörpert und andererseits in der Aspektlehre bei der Konjunktion, als dem Einklang zweier Planeten, den wir bei schwierigen Konstellationen allerdings durchaus auch als Missklang erleben können.
Im Tarot kommt das solare Bewusstsein, aber auch die schöpferische Kraft der Zahl Eins im MAGIER zum Ausdruck, der durch seine Haltung den Einklang von Oben und Unten verkörpert und für Initiative, Impulse und aktive Gestaltung steht.