Mit Tarot den Alltag entdecken

Mit Tarot den Alltag entdecken
© Hajo Banzhaf
Artikel aus Esotera 9/94

Tarot ist ein reizvoller Schlüssel zu den Geheimnissen, die uns im Alltag umgeben. Was damit gemeint ist, macht die Tarotkarte 10 Münzen deutlich:

In einem Torbogen, der zu einem Gutshof führt, begegnen sich zwei Menschen. Sie schauen sich nicht an und werden wohl aneinander vorbeigehen. Ganz sicher aber werden sie ebensowenig wie das Kind auf dem Bild die geheimnisvolle Gestalt des alten Mannes wahrnehmen, der in den Weinreben neben dem Tor verborgen ist. Auf ihn wurden nur die Hunde aufmerksam, die Symbole größter Instinktsicherheit. So liegt die Bedeutung dieser Karte - neben Fülle und allem äußeren Reichtum, den sie natürlich auch anzeigen kann - vor allem darin, dass wir wahren Reichtum erst dann entdecken, wenn wir nicht länger hektisch getrieben durch den Alltag laufen, sondern unsere Augen für die Dinge öffnen, zu denen uns die inneren Instinkte leiten. Dass es sich hierbei durchaus um die angenehme und süße Seite des Lebens handeln kann ist die Bedeutung der Weintrauben auf dem Bild.

Die Aufgabe der Hunde übernimmt im Tarot die Tageskarte. Sie kann unseren Blick auf Wichtiges lenken, das oft im Verborgenen liegt. Wir dürfen allerdings nicht dem verbreiteten Fehler verfallen und in dieser Karte immer nur den Hinweis auf das scheinbar wichtigste Tagesereignis suchen. Denn was an einem Tag wirklich wichtig ist, wissen wir oft genug erst Wochen oder Monate später. Unser Bewußtsein neigt dazu, vieles einfach aus unserer Wahrnehmung auszublenden. Das ist ein Segen dort, wo wir sonst von Reizüberflutung zerrissen würden. Ein Problem aber wird es stets dann, wenn wir Wesentliches nicht wahrnehmen, weil wir uns auf eine fixe Idee versteift haben. Wenn wir uns zum Beispiel auf einer Party mit einem bestimmten Menschen verabredet haben, der zu unserer großen Enttäuschung nicht erscheint, dann kann dieses Nichterscheinen unser Bewußtsein so sehr besetzen, dass für uns die ganze Party nur aus dieser Enttäuschung besteht. Wir sehen einzig die Abwesenheit des Einen und übersehen dafür all die vielen, die erschienen sind.

Mit der Tageskarte gibt das Unbewußte unserem Bewußtsein einen Wink und macht es aufmerksam auf Gegebenheiten, Begegnungen oder Erfahrungen, an denen wir sonst wahrscheinlich achtlos vorüber gelaufen wären.

Wie geht man dabei vor? Ganz einfach: Breiten Sie die verdeckten Tarotkarten zu einem Fächer aus, und ziehen Sie daraus morgens - mit der linken Hand - eine Karte. Das ist Ihre Tageskarte. Sie können sie sofort betrachten und dann schauen, wo und in welcher Form Ihnen dieses Thema im Laufe des Tages begegnet. Wenn Sie sich jedoch auf diese Art schon manchen Tag vermiest haben, weil Sie morgens eine Karte zogen, die Sie partout nicht mögen, dann spricht auch nichts dagegen, die Karte verdeckt zu lassen und erst am Abend zu betrachten. Bedenken Sie stets: Tarot ist keine Mutprobe! Wenn Sie Lust haben, die Tageskarte sofort zu betrachten, tun Sie das, wenn nicht, tun Sie es erst abends; und wenn Sie überhaupt keine Lust haben, eine Karte zu ziehen, oder es einmal vergessen, dann lassen Sie es eben. Zwang oder zuviel Routine tut beim Tarot nie gut. Haben Sie aber eine Karte gezogen, sollten Sie sich abends zumindest kurz damit beschäftigen. Das bringt Ihnen dreierlei Früchte:

1. Wenn Sie jeden einzelnen Tag abends noch einmal Revue passieren lassen, werden Sie bald spüren, daß Sie deutlich bewusster leben. Es ist eben vor allem der Alltag, aus dem unser Leben besteht. Ihn bewusst wahrzunehmen und zu gestalten heißt intensiver zu leben.

2. Es ist spannend, die Entwicklung eben jener "Kleinigkeiten" zu beobachten, auf die Tarot hingewiesen hat, die Sie aber ohne diesen Hinweis vielleicht nicht richtig wahrgenommen oder ganz übersehen hätten.

3. Da Sie nach einiger Zeit mit jeder Tarotkarte mindestens eine persönliche Erfahrung verbinden, werden Sie mit deren Bedeutung in einer sehr persönlichen und unvergesslichen Weise vertraut. Ihre eigenen Erfahrungen können Ihnen das Bedeutungsspektrum einer Karte natürlich erheblich besser erklären als viele Worte es vermögen.

Wenn Ihnen die Karten noch fremd sind, mag es hilfreich sein, aus einem Tarotbuch Anregungen zu suchen, um herauszufinden, wo die jeweilige Bedeutung überhaupt zu suchen sein könnte. Entscheidend aber ist es, daß Sie Ihre persönliche Zuordnung aus Ihrer Alltagserfahrung machen.

Falls Ihnen anfangs 78 Karten viel zu viel erscheinen, als daß Sie je ihre Bedeutungen auseinander halten könnten, dann sollten Sie sich zunächst auf die 22 Karten beschränken, die die Großen Arkana (Geheimnisse) genannt werden. Wenn Ihnen dieser überschaubare Teil des Tarots nach und nach vertraut geworden ist, sollten Sie die 56 Karten der Kleinen Arkana hinzunehmen.

Natürlich können Sie einzelne Karten auch zu anderen Anlässen oder Zeitabschnitten ziehen. Sie können Karten auf Ereignisse ziehen, auf eine Begegnung, für ein Projekt, oder als Urlaubskarte, Hinweiskarte oder Entscheidungskarte. Und Sie können Wochen-, Monats- oder auch Jahreskarten ziehen. Davon halte ich übrigens mehr, als sich die Jahreskarte aus dem Geburtsdatum zu berechnen. Tarot ist ein Zufallsorakel wie das I Ging, die Runen und viele anderen Orakel, deren Aussage eben gerade in einer Konstellation liegt, die nicht berechnet wurde, sondern uns in einem bestimmten Augenblick zufällt. (Unter uns gesagt: die jetzt fällige Bemerkung: "Es gibt keinen Zufall" meint zwar das richtige, ist aber falsch formuliert. Natürlich gibt es eine Unzahl von Zufällen, aber sie sind nicht sinnlos sondern haben ihre Bedeutung. Der Satz sollte deshalb besser lauten: "Es gibt keinen sinnlosen Zufall.")

Wenn Sie an dieser Art, die Karten zu befragen und zugleich kennenzulernen, Gefallen finden, können Sie das Ganze noch um eine interessante Variante erweitern: Ziehen Sie z.B. für die kommende Woche aus den 22 Karten der Großen Arkana die Hauptkarte und als ergänzende Erklärung eine Karte aus den Kleinen Arkana hinzu. So mag Ihnen der Teufel als Wochenkarte zeigen, dass Sie in dieser Zeit in Versuchung geführt werden. Kommt die 9 Stäbe hinzu, werden Sie widerstehen, wohingegen die 9 Schwerter als Zusatzkarte vor Gewissensbisse und Reue warnt, 4 Kelche bedeuten ein Katergefühl, 8 Schwerter, daß Sie sich im Griff haben, 7 Schwerter dagegen, daß Sie sich selbst bemogeln, 2 Münzen stehen für Wankelmut und 7 Kelche für höchste Verführbarkeit. Am besten ziehen Sie die 5 Stäbe, die Sie auffordern, die Herausforderung anzunehmen und an ihr zu wachsen. Das bedeutet, dass Sie mit dem Feuer spielen dürfen, aber höllisch (!) aufpassen müssen, sich nicht die Finger zu verbrennen.

Der Teufel
9 Stäbe
5 Stäbe
9 Schwerter
8 Schwerter
7 Schwerter
7 Kelche
4 Kelche
2 Münzen
Abb. Rider-Waite® Tarot: © US Games & AGM, www.koenigsfurt-urania.com